Dienstag, 21. Oktober 2014

Florence Polling und Hannah Rebstock - Thanjavur, Tamil Nadu, Indien

Und plötzlich haben wir 3000 neue Schwestern

Nachdem wir unseren sechswöchigen Tamil-Sprachkurs des PILC (Puducherry Institute of Linguistics and Culture) in Pondicherry beendet hatten, begaben wir uns auf den Weg zu unserem nächsten Ziel: das „Bon Secours College for Women“ in Thanjavur. Dem AC Bus (klimatisierten Bus) zogen wir einen „government bus“ vor, um die Reise nach Thanjavur noch intensiver erleben zu können. Nach einer sechsstündigen holprigen Fahrt (wir dachten mehrmals die Decke küssen zu können) in einem Bus ohne Türen und einen Sonnenbrand später kamen wir in Thanjavur an und wurden gastfreundlich von Sister Victoria und Sister Shoba in Empfang genommen. Das College, mit seinen 3000 Schülern, 15 Departments, 103 Lehrern und 30 Schwestern, gehört zu den besten Bildungseinrichtungen Indiens und wurde im September 2014 vom „National Assessment and Accreditation Council“ mit einer Bestnote ausgezeichnet. Das Bon Secours College hat sich als Ziel gesetzt, ihren Studentinnen bei der Entwicklung ihres vollen Potenzials durch die Entwicklung ihrer akademischen Kompetenzen, kritischen Denkens, staatsbürgerlicher
Verantwortung und globalen Bewusstseins zu helfen. Ihre Vision ist es, den Horizont der Frauen zu erweitern. Dabei unterstützt das College vor allem Frauen aus den ländlichen Regionen. Sie sollen physisch, intellektuell, emotional, sozial und moralisch weitergebildet und befähigt werden, die Herausforderungen der Welt von Morgen zu bewältigen. Auf dem College Campus befindet sich ein Hostel, das 500 Studentinnen beherbergt. Weitere 2500 Studentinnen kommen täglich mit Bussen ans College. Dieses College wurde also zu unserem neuen Zuhause für die folgenden sechs Wochen. Untergebracht sind wir in einem kleinen Guest House, das sich auf dem Campusgelände befindet. Uns steht ein geräumiges Zimmer mit kleinem Bad zur Verfügung. An die indischen Sanitäranlagen hatten wir uns schon gewöhnt, ein Bett ohne Matratze war uns jedoch neu. Die erste Nacht am College hinterließ ihre Spuren: von Moskitobissen übersät und mit Gliederschmerzen aufgrund unseres harten Bettes, begann unser neues Abenteuer. Schnell gewöhnten wir uns jedoch an die neuen Verhältnisse. Auch durch die extra für uns neu angebrachten Moskitonetzen wurden die Nächte angenehmer.























Nun mehr dazu, warum wir an das College gekommen sind. Am College machen wir neben der Teilnahme an Kursen jeweils eine eigene Forschung. Wir hoffen, durch die teilnehmende Beobachtungen und Interviews an viele interessanten Informationen, etwa zu den verschiedensten Denkweisen, Lebensgeschichten, Einstellungen und Traditionen der
Studentinnen, zu gelangen. Hannah Rebstock widmet sich dem wandelnden Wert der Bildung für junge Frauen in der indischen Kultur. Das Bildungssystem in Indien hat sich stark verändert und spielt in vielen Bereichen der sozialen Struktur eine wichtige Rolle. Florence Polling, forsche über den Bestand und den Wandel des Kastensystems in Bildungsinstituten unter dem Einfluss von Modernität und dem Wandel des Bildungssystems. Da wir keine Küche haben, gehen wir für jede Mahlzeit in die Mensa der Hostel-Schülerinnen, was sich zu Beginn als kleine Herausforderung herausstellte. Bei unserem Eintritt in den Speisesaal hefteten sich 500 Augenpaare an uns und begleiteten jede unserer Bewegungen. Die ständige Beobachtung legte sich nicht, sondern beschreibt heute, fünf Wochen nach der Ankunft, unseren Alltag. Das Essen ist sehr gut, jedoch nicht sehr abwechslungsreich. Drei Mal am Tag gibt es Reis mit verschiedenen Soßen, eine Reisunverträglichkeit wäre somit weniger von Vorteil. Sprich, auch an das mussten wir uns zunächst gewöhnen. 

Nach anfänglicher Zurückhaltung sahen wir uns schon schnell von Menschentrauben umgeben. Frage um Frage wurde uns gestellt, manchmal auch gefühlte fünfzig Fragen auf einmal. Schnell wurden wir sogar Teil der „Gangs“ mancher Studentinnen, was wir sehr amüsant fanden. Stets werden wir mit „Hello Sister“ begrüßt. Plötzlich hatten wir also 3000 neue Schwestern. Die Essenszeiten sind eine großartige Gelegenheit um mit den Studentinnen allerlei Geschichten aus ihrem und unserem Leben auszutauschen. So wie wir an ihrer Kultur interessiert sind, so sind auch sie an unserer Kultur interessiert. Beiderseits ist man oftmals erstaunt über diese vielen kulturellen Unterschiede und Traditionen. Diese Gespräche schätzen wir sehr. Allgemein betrachtet sind die Studentinnen sehr unterschiedlich: es gibt sehr offene und kontaktfreudige Mädchen, aber auch sehr schüchterne, die uns stets aus „sicherer Entfernung“ beobachten. Wie wir erfahren haben, halten sie mögliche Sprachbarrieren davon zurück, mit uns zu sprechen. Aus diesem Grund versuchen wir ab und zu, unsere Tamil Kenntnisse auszupacken und damit zu signalisieren, dass eine Unterhaltung irgendwie immer möglich ist. Zusätzlich freuen sich die Studentinnen unglaublich, wenn sie ein paar tamilische Sätze mit uns austauschen können. Die Schwestern am College, wie auch die Lehrerinnen, sind sehr bemüht unseren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten und scheuen keinen Aufwand, uns so gut wie nur möglich bei der Forschung zu unterstützen.

Das Stadtzentrum von Thanjavur beherbergt auch ein paar Schätze, die nicht unbeachtet bleiben dürfen. An unserem ersten Wochenende besichtigten wir zuerst das Fort der Nayaks aus dem 16. Jhd. Auch konnten wir einen Blick in die Saraswati Mahal Library werfen, welche über 40.000 seltene Bücher und 8000 Palmblatt-Manuskripte verfügt. Anschließend gingen wir in die dazugehörige Art Gallery. Dort konnten wir super schöne Bronzeskulpturen aus dem 9. bis 12. Jhd. bewundern. Von dort schlenderten wir durch die vollen und lauten Straßen, bis wir vor dem wirklich beeindruckenden Brihadisvara-Tempel standen. Der Tempel ist so zu sagen das Wahrzeichen der Stadt und die architektonischen Feinheiten sind wirklich unglaublich beeindruckend.

Unseren Aufenthalt in Indien erachten wir als sehr intensiv und als ein Wechselbad der Gefühle. Da wir am Ende unseres Aufenthalts stehen, reflektieren wir diesen und versuchen ein Resümee zu ziehen. War Indien großartig? War Indien ein Schock? So richtig zuordnen können wir es nicht. Mal schockierte uns das Land, mal faszinierte es uns. Umso mehr man in die Kultur eintaucht, umso intensiver werden die Erlebnisse.

Indien ist ein Land der Gegensätze, das auf seine eigene Art und Weise faszinierend, erstaunlich, beeindruckend und verwirrend ist. Indien kann man nicht erklären, Indien muss man erleben.

Dienstag, 14. Oktober 2014

Leonie Rospert und Laura Falter - Pondicherry, Indien


Unsere Tage in Pondicherry begannen um acht Uhr morgens, denn um neun mussten wir pünktlich in der Schule sitzen! In der ersten Stunde wurde jeden Tag Grammar unterrichtet,danach Spoken Drill und wenn das überstanden war, gab es einen kleinen Becher süßen Milchkaffee und einen kleinen, meist frittierten Snack in der Teabreak. Nach dieser fünfzehn minütigen Pause ging es dann weiter mit dem Tamilunterricht, erst Script and Reading und in der vierten und auch letzten Stunde des Vormittagsunterrichts Scriptpractice and Conversation. Mittlerweile war es auch schon Viertel vor eins und wir Schüler wurden bis halb drei in die Mittagspause entlassen. Diese verbrachten wir meist in völlig überteuerten, aber sehr schönen Cafés in 'white town'.


Nach dem Mittagessen durften wir noch einmal bis halb fünf zur Schule und dort das Nachmittagstutorial des Tamilunterrichts genießen und uns anschließend auf einen weiteren Snack und einen Becher zuckersüßen Milchkaffee freuen!

Sobald die Schule beendet war, schlenderten wir meist durch Pondicherry. Schließlich ist man nicht alle Tage in Indien, das sehr reich an fremdartigen und neuen Eindrücken ist. Daher sollte die kurze Zeit in diesem Land auch genutzt und genossen werden! Zudem entdeckt man auf diesem Wege des 'Sich-Treiben-Lassens' wunderschöne Plätze, Geschäfte, Cafés, Bars, beeindruckende Tempel und lernt interessante Menschen kennen!

Pondicherry war bis 1947 unter französischer Herrschaft und die Hauptstadt Französisch-Indiens. Dies ist bis heute im Stadtbild zu erkennen. Der Stadtkern Pondicherrys hat die Form einer Ellipse und die Straßen sind schachbrettartig angeordnet. Der an der Küste verlaufende Streifen ist 'white town'. Dort befinden sich riesige, alte, aus der französischen Kolonialzeit stammende, Stadtvillen, in denen sich zum Teil Cafés und Restaurants befinden, die für die Touristen in Pondi westliche Küche anbieten. In diesem Teil der Stadt findet man unter anderem auch kleine Boutiquen, die Kleidung, Schmuck und Kitsch anbieten. Diese Geschäfte könnten sich genauso gut in Tübingens Altstadt befinden.
  
In diesem sogenannten weißen Stadtteil ist alles vier mal so teuer wie in der Innenstadt. In der Stadt kann man eine riesige Portion Reis für 35 Rupees bekommen – im französischen Teil der Stadt kann man im Gegensatz dazu, auch Gerichte wie Cheeseburger und Pommes bestellen, allerdings für stolze 450 Rupees. In diesem Bereich der Stadt ist alles ein wenig größer, sauberer, ruhiger und das überall herrschende anarchistische Straßenchaos ist kaum zu spüren. So kann man abends völlig entspannt an der Strandpromenade spazieren und sich in einem der Restaurants oder Bars mit Meerblick ein Bier für ca. 200 Rupees gönnen. In einer der charmanten, ein klein wenig heruntergekommenen Bars im 'indischen' Teil der Stadt kann man das jedoch auch schon für 80 Rupees. Auch dieser Teil der Stadt ist ohne Frage wunderschön und natürlich um einiges interessanter.

Durch die überfüllten und vollgestopften Straßen zu laufen und sich vom Strom der Menschen treiben zu lassen ist spannend, beeindruckend und auch meist sehr lehrreich. Man lernt dabei viel über kulturelle Verhaltensnormen, wie beispielsweise die "Kleiderordnung", das Verhältnis zwischen Mann und Frau, den Umgang mit Kindern und auch das Verhältnis der Menschen untereinander, die sich zum Beispiel nicht bei Kellnern im Restaurant bedanken müssen, da diese schließlich die Arbeit tun, für die sie bezahlt werden und es daher keinen Grund für höfliche Kommunikation gibt. Diese Situationen könnte man natürlich mit dem Kastensystem in Verbindung bringen, jedoch erklärte es uns ein Lehrer auf diese Art. Ein weiteres Beispiel für Dinge, die sich leicht durch Beobachtung lernen lassen, ist die im Straßenverkehr vorherrschende Hierarchie unter den Verkehrsteilnehmern: an oberster Stelle stehen Kühe, danach LKWs und Busse, dann Autos, Rikschas und irgendwann Fußgänger. An letzter Stelle stehen Hunde und andere kleine Tiere. Sogar der Tamilsprachkurs hat uns jeden Dienstag und Donnerstag Nachmittag "Kulturprogramm" geboten, um unseren kulturellen Horizont zu erweitern. Dienstags waren dies meist Darbietungen von speziell tamilischen Instrumenten, Gesängen und auch traditionellen Volkstänzen. Donnerstags haben wir meist Tempel angeschaut, Dörfer oder den lokalen Markt besichtigt.

Rückblickend betrachtet, war Pondicherry eine entspannte, kleine und nahezu strukturiert erscheinende Stadt, die uns anfangs jedoch mit ihrer indischen Hektik und Lautstärke erschlagen hat. Inzwischen erscheint uns dies fast lächerlich, da anderen indische Städte, die wir bisher besichtigen konnten, in keinster Weise mit Pondicherry zu vergleichen sind. Allerdings haben wir unsere Zeit in Pondicherry sehr genossen und hatten viel Zeit die Stadt kennenzulernen. In den sechs Wochen haben wir sogar ein Heimatgefühl entwickelt, auch weil in Pondicherry viele europäische Studenten ein oder auch zwei Semester studieren und wir uns mit einigen Franzosen und Norwegern angefreundet haben und unsere Abende gerne mit ihnen verbrachten. Mit diesen Freunden haben wir auch einige Ausflüge unternommen, beispielsweise nach Madurai und Rameshwaram. Um dem indischen Dresscode zu entfliehen haben wir zwei unserer Sonntage in Hotels verbracht, um dort im Bikini am Pool zu liegen und uns wie wir selbst zu fühlen. 


Letztendlich war Pondicherry jedoch eine wundervolle Erfahrung! Der Tamilsprachkurs bzw. die guten Tamillehrer haben uns mit ausreichenden Grundkenntnissen versorgt, um bei unserem Praktikum in einem Kinderheim in Thanjavur auf simpler Ebene mit den Kindern zu kommunizieren.