Donnerstag, 15. November 2012

Katharina Müller - Mashhad, Iran


 sraels Atomkonflikt mit Iran ‚Ich bin bereit, den Knopf zu drücken‘“ Süddeutsche, 6.11.1  „Stillstand im Gerangel mit Iran“ NZZ, 8.11.12
„Iran brüstet sich mit Drohnen-Technologie“ Spiegel Online, 28.10.12
„Warnung an Iran“ Spiegel Online, 25.10.12
„Ahmadinedschads Iran, eine tickende Zeitbombe“ Die Welt, 21.10.12

Das sind die ersten 5 Titel (neben dem Wikipedia-Eintrag), die Google liefert, als ich nach „Iran“ suchen lasse. Da überrascht es nicht, dass mich Freunde außerhalb Irans mit vor Schreck geweiteten Augen fragen „Warum denn bloß Iran?“. Warum man als Ethnologe / Ethnologin in den Iran will? Diese Frage kann sich nur jeder, der es wagt, selbst beantworten. Es ist vielleicht die Faszination für den Orient: Auf persischen Basaren umherstreifen, den Geruch von Kardamom, Safran und Muskat in der Nase; den geheimnisvollen Blick einer verschleierten Schönheit auffangen; und den Stoff- und Gewürzhändlern beim Feilschen zuschauen. Oder in einem Teehaus auf einem persischen Teppich sitzen, eine Wasserpfeife rauchen und sich an den süßen Datteln, frischen Melonenscheiben und Pistazien bedienen, während man der Rezitation persischer Poesie lauscht?


Nein? Dann ist es vielleicht der Kitzel des Gefährlichen, eines womöglich nahenden Krieges? Die Frage nach dem „Warum sind „die“ denn bloß „so“? Tief verschleierte Frauen in Tschadors, die wie schwarze Geister über die staubigen Straßen der Großstadt huschen; religiöse Fanatiker, die mit einerGebetskette in der Hand und Israel- und/oder US-feindlichen Parolen auf den Lippen das öffentlicheLeben dominieren; und einer hoffnungslosen Jugend, die ihrer Freiheiten beraubt keine Energie für einen weiteren Revolutionsversuch aufbringen kann. Und immer diese Frage im Hinterkopf: Ist das nicht alles die Islamischen Republik schuld? So stark sich diese zwei Vorstellungen unterscheiden, so stark sind beide in ihrer Klischeehaftigkeit von der Realität entfernt (auch wenn beide durchaus zu finden sind). Zudem liegt dazwischen ein breites Spektrum an Motivationen und Bildern, die einen Ethnologen / eine Ethnologin in das Land ziehen. Mit der folgenden Geschichte möchte ich Euch meinen Blick auf dieses Land eröffnen; Euch zeigen, wie Iran aus meinen Augen aussieht. Es ist eine fiktive, aber nah am Alltag gehalten Szene und fasst verschiedene Eindrücke, die ich während meiner Aufenthalte bisher gesammelt habe, zusammen.

Vor mir hält ein weißer Peugeot 206, aus dem Wageninneren winken mir bereits mehrere Hände entgegen: Nasrin (26), Bahar (28) und Nilufar (5) steigen aus dem Auto. Es beginnt die Begrüßungszeremonie: Küsschen links, rechts, links, augefregtes und fröhliches „Salam!“ und ein (scheinbar) chaotisches hin und her von „Wie gehts dir? Geht es dir auch gut? Was gibt es Neues?“ und den passenden Antworten „Danke! Mein Leben schenke ich dir! Ich wünsche dir Gesundheit!“. Wir steigen ins Auto. Die kleine Nilufar, Bahars Tochter, krabbelt auf meinen Schoß, laute persische Elektro-Pop-Musik schallt aus den Boxen und wir tauschen uns lachend über die Neuigikeiten aus, während Nasrin den Wagen durch den (tatsächlich) chaotischen und zähflüßigen Stadtverkehr lenkt. Unser Ziel ist die Wohnung von Mariyam (27), einer Freundin, die zum Abendessen geladen hat. Mariyam lebt, wie so gut wie jede unverheirate junge Frau, noch bei ihren Eltern und so öffnet uns der Vater die Tür. Mit einer Hand auf dem Herzen, deuten wir eine Verbeugung an und begrüßen einander: „Salam! Wie geht es Ihnen? Gehts es Ihnen gut? Ich danke Ihnen! Herzlich Willkommen! Mein Leben schenke ich Ihnen! Treten Sie ein! Herzlich Willkommen!“ Nachdem wir unseren Hijab (Kopftuch und knielangen Mantel) im Nebenzimmer abgelegt haben – man ist schließlich unter (liberalen) Freunden – kommen wir ins Wohnzimmer und begrüßen alle anderen Gäste. Es ist eine bunte Runde aus Männern und Frauen verschiedenen Alters, die zur Begrüßung höflich aufstehen und entweder die Hand reichen oder sich mit der Hand auf dem Herzen leicht verbeugen. Als wir uns setzen, beginnt auch schon eine lebhafte Unterhaltung. Mariyam und ihre Mutter bedienen uns. Es gehört zur Gastfreundschaft, dass jeder Gast mit schwarzem Tee, frischen Früchten, Nüssen, Trockenobst, Süßem und Biscuit – noch bevor zu Abend gegessen wird – beköstigt wird. Sie gehen zu jedem der Gäste, die es sich auf den Sesseln und Sofas im Kreis gemütlich gemacht haben, und bieten eine Köstlichkeit nach der anderen an. Und während die beiden Frauen Runde um Runde die Leckereien verteilen und die Gäste sich mit einem „Mögen ihre Hände niemals schmerzen! Mein Leben schenke ich Ihnen! Vielen Dank!“ bedienen, sind wir bereits in eine heiße Diskussion über die aktuelle wirtschaftliche Lage im Iran vertieft. Dariush (32) erhebt seine Stimme: „Wen treffen diese Sanktionen? Die Regierung? Von wegen! Uns treffen sie! Diejenigen, die eh schon kämpfen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, die werden unter Druck gesetzt! Mein Onkel ist Diabetiker und hat Schwierigkeiten sich sein Insulin zu beschaffen! Das interessiert doch die da oben nicht! Weder unsere Regierung noch Obama interessiert das!“

Arash (52) fügt hinzu: „Wie ihr wisst, verteile ich einmal im Monat Essen in den Dörfern am Rande Mashhads. Das Stadt-Land-Gefälle ist sowieso schon so groß, aber noch nie habe ich so eine Not gesehen. Wo fangen denn die armen Menschen an zu sparen, wenn sie noch weniger zum Leben haben? Natürlich an der Ausbildung ihrer Kinder! Kinder ohne Ausbildung – welche Zukunft kommt da auf unser Land zu? Die Folgen der Sanktionen werden in 15, 20 Jahren noch verherender für unser
Land sein, als sie es bereits jetzt sind! Was denken die sich im Ausland eigentlich? Dass diese ungebildete Generation dann ein friedfertiges und entwickletes Iran hervorbringt?!“ Sanas (28) rückt frustriert ihr geblümtes Kopftuch zurecht: „Ich weiß was du meinst! Meine Doktorarbeit steht momentan auf der Kippe. Die Universität wird sich womöglich die Chemikalien für meine Laborexperimente nicht leisten können; geschweige denn die spezialisierten Instrumente für nanobiologische Experimente aus dem Ausland beschaffen können. Was soll ich tun, wenn mein Proposal abgelehnt wird? Wo soll ich Arbeit finden? Ende ich als Hausfrau ohne Perspektive?“ Ihr Mann, Ramin (32), stimmt ihr zu: „Als ich meine Doktorarbeit in persischer Literatur vor zwei Jahren

verteidigte, haben wir noch große Pläne gehabt: Wollten nach Sanas Promotion vielleicht ein Kind bekommen und nach Teheran ziehen, wo die Jobs besser bezahlt werden. Ich wollte eine Professur anstreben. Doch so wie die Lage aktuell aussieht, werde ich eine Familie mit meinem geringen Gehalt an der Universität alleine nicht stemmen können. Von einer Professur ist gar nicht mehr die Rede. Unsere Familien werden uns unterstützen müssen. So haben wir uns unser Leben als Akademiker sicher nicht vorgestellt!“ Ich frage: „Ist Emigration keine Option?“ Bahar lacht auf: „Katharina, ich liebe mein Land! Ich bin stolze Perserin! Abgesehen davon, dass es schwierig ist, einfach mal nach Kanada auszuwandern, möchte ich bei meiner Familie sein; möchte, dass Nilufar ein Iran kennenlernt, dass nicht von Ayatollahs und Ahmadinedschads zerstört wird! Ein Land, in dem der Islam nicht verteufelt, sondern aus freiem Willen gelebt wird – oder eben nicht.“ Ich entgegne: „Und warum habe ich dann das Gefühl, dass niemand die Engerie aufbringen kann, sich gegen das politische Establishment zur Wehr zu setzen?“ „Zur Wehr setzen?“, Dariush und die anderen lachen auf. „Uns geht es wohl noch zu gut. Wir Iraner sind immer darauf bedacht, einander so gut zu unterstützen, wie es in unserer Macht steht. Erst letzte Woche kaufte und schlachtete mein Nachbar ein Schaf, um das Fleisch an die Mittellosen, Verwitweten, Verwaisten und Kranken in unserer Nachbarschaft zu verteilen. Die Menschen sind noch nicht verzweifelt genug, um ihr Leben für einen weiteren Revolutionsversuch zu opfern. Aber welche Nation, die sich die universalen Menschenrechte auf ihren ach so moralischen Banner schreibt, würde uns dazu treiben wollen? Diese Sanktion sind reinste Heuchlerei!“ Mariyam setzt sich zu mir, holt ihr Handy heraus und liest einen Witz vor:„Willkommen zu den Wahlen der Islamischen Republik Iran 1396 (in westlicher Zeitrechnung 2017).

Hier ihre Wahloptionen:
1. Herr Ahmadinedschad,
2. Präsident Ahmadineschad,
3. Doktor Ahmadinedschad.“

Schallendes Gelächter bricht aus und weitere Handy-Witze folgen. Mariyams Vater geht dazu über, Gedichte des berühmten Nationaldichters Hafez zu rezitieren und auf begeisterten Applaus folgen weitere Gedichtrezitation aus der Gruppe. Mariyams Mutter bringt auch einen Gedichtband von Khayyam und Nasrin flüstert mir zu: „Weißt du, diese Poesie stammt aus einer Zeit vor dem Islam, vor den Einflüssen der Araber. In ihr liegt unsere ganze Philosophie, unsere persische Kultur und unsere Seele.“ Auch ich werde aufgefordert etwas von Goethe zu rezitieren, aber ich muss passen und nehme mir vor, ein paar Gedichte von Goethe, Eichendorff und anderen zu lernen. Schließlich, um 22 Uhr, ruft uns Mariyams Mutter zum Abendessen. Es gibt traditionelle persische Speisen, die wir auf dem wunderschönen persischen Teppich im Schneidersitz hockend, gemeinsam teilen. Wie üblich beschließt man das Essen mit einem Salat mit frischen Joghurt und Limonensaft. Es wird Zeit, sich zu verabschieden und auch diese Zeremonie gleicht einem feinausbalancierten Tanz aus Wünschen, Entschuldigungen, Danksagungen und Einladungen, die mehrmals wiederholt werden: „Mögen deine Hände niemals schmerzen! Vielen Dank für diesen wunderschönen Abend! Ich habe dir sehr viel Arbeit bereitet! Entschuldige! Mein Leben schenke ich dir! Vielen Dank!“ – „Ich danke dir! Du bist durch viele Anstrengungen gegangen, um hier zu sein. Ich möchte mich dafür entschuldigen. Bitte bleib doch noch auf einen Tee! Das meine ich nicht als Höflichkeitsfloskel (Ta’arouf). Ich schenke dir
mein Leben. Mögen deine Hände niemals schmerzen! Du bist jederzeit Willkommen! Auf Wiedersehen (Möge Gott dich beschützen).“